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„Das Böse ist der Preis der Freiheit“. Auf diese, von dem Philosophen Rüdiger Safranski vertretene These fühlte ich mich immer wieder zurückgeworfen, als ich das Buch „Fremder Vogel Rommelfanger“ von Christa Gießler las.
Doch zunächst überrascht das Buch durch seine künstlerische Form. Handelt es sich um einen Roman, eine Dokumentation, eine Reportage? Das Werk entzieht sich einfacher Kategorisierung. Für mich das Wichtigste: Es ist ein spannendes Buch, das auf gründlicher Recherche beruht und eine wahre Geschichte erzählt. Das nicht an Emotionen appelliert, den Leser jedoch gerade wegen seiner Sachlichkeit nicht vor Ärger, manchmal auch Traurigkeit bewahrt. Und es ist ein politisches Buch, selbst wenn die Autorin dies nicht intendiert haben sollte.
Im einzelnen geht es um die Leiden eines kompetenten, auch ehrgeizigen Oberbürgermeisters („Uro“), der sich ein enormes Arbeitspensum auferlegt und den Erfolg für sich und seine nordschwäbische Stadt („Meisenkworth“ – ein anagrammatisches Versteck für Kornwestheim) sucht. Nach überzeugend gewonnener Wahl und einem gelungenen Start wird er, der Nicht-Schwabe, zunehmend zum Haßobjekt seiner Gemeinderäte, der örtlichen Vereine und der Presse: Eine ganze Stadt scheint sich schließlich verschworen zu haben, ihren OB zu vernichten. Dazu ist nahezu jedes Mittel recht; Worte werden gewendet und als Waffe benutzt, Gerichte bemüht und eine fortschreitende Diffamierung macht auch vor der persönlichen Sphäre nicht halt.
Insgesamt ein Zerfall kommunaler Kultur, der auf 300 Seiten in Szene gesetzt wird. Das Buch macht ärgerlich: Gibt es keinen, der dieses „fiese“ Spiel stoppen kann? Nein, es gibt keinen. Alles ist noch schlimmer, denn „Meisenkworth“ ist kein Einzelfall. Die Autorin weist mit wenigen Seitenblicken immer wieder auf baden-württembergische Gemeinden hin, in denen ähnliche Spiele gespielt wurden. Wobei dieser Ausdruck „Spiele“ trifft. Denn der Eindruck zunehmender Infantilisierung drängt sich dem Leser förmlich auf. So wird dem OB übel genommen, daß er die finanzielle Situation seiner Stadt anläßlich des Neujahresempfangs ungeschminkt darstellt – statt sich, wie in einem Leserbrief anklagend formuliert, „aufmunternd an seine Bürger zu richten“, den Bürgern also Verantwortung und Ängste zu ersparen. Uros Sprache ist unbequem und schafft Konflikte. Da ist die (mit überwältigender Mehrheit gegen Uro gewählte) Nachfolgerin sehr viel klüger, wenn sie behauptet: “Bei engem Kontakt und genügend Information gibt es keine Konflikte“. So schön kann die Welt sein!
Anscheinend ist mittlerweile eine Generation von Wählern herangewachsen, die nicht nach Aufklärung, sondern nach positiven Botschaften, ganz im Sinne gängiger Marketingmethoden, verlangt. Die Rolle dieser Wähler kommt mir bei Christa Gießler etwas zu kurz; die Autorin stellt die Ränkespiele von Gemeinderäten, Vereinen und Presse (auch in ihrem Zusammenspiel) überzeugend (und spannend!) dar. Das Wahlvolk, letztlich für das Wahlergebnis verantwortlich, bleibt eher im Hintergrund, auch wenn immer wieder aus einzelnen Leserbriefen zitiert wird. Für mich bleibt es eine offene Frage, warum in einer Gemeinde wie „Meisenkworth“ Wähler und Vereinmitglieder ihren Meinungsführern nicht ins Wort fallen – und deren Ränkespiele am Ende durch ihr Wahlverhalten sogar belohnen? Kann es sein, daß Gemeinderäte und Vereinsvorsitzende ziemlich gut die kommunale Kultur verinnerlicht haben, die sie repräsentieren?
Die Rolle der lokalen Presse hat mich wenig überrascht. Längst hat man sich daran gewöhnt, daß die Presse ihr Produkt konsequent vermarktet. Und natürlich verkaufen sich als Skandale aufgemachte Meldungen und Reportagen besser als der faire und gut recherchierte Bericht. So macht man Zeitung. Da tut es gut, daß Christa Gießler es sich leisten kann, in ihrem Buch (sorgfältig fundierte) Presseschelte zu üben. Viele können sich so etwas nicht erlauben –in einer Gesellschaft, in der mediengerechtes Verhalten geradezu ein Überlebensgebot ist.
Und gegen dieses zentrale Gebot hat „Uro“, der Protagonist, verstoßen. Wahrscheinlich ist er zu sehr Jurist, zu sehr auf sachliche Lösungen hin ausgerichtet gewesen, um der medialen Seite seiner OB-Rolle entsprechende Aufmerksamkeit zu schenken. Vielleicht hat er auch deren Bedeutung in ihrer Tiefendimension für eine schwäbische Gemeinde nie wirklich begriffen.
Das Buch nimmt den Leser für Uro ein. Dies hat auch damit zu tun, daß das Bemühen der Autorin um Wahrheitsfindung und Gerechtigkeit nicht aufgesetzt wirkt. Denn um ein Stück Gerechtigkeit ging es ihr von Anfang an. Sie hatte als Außenstehende die Berichterstattung über Uro mitbekommen, die immer stärker ihr Mißtrauen weckte, da sie kampagneartige Züge annahm. Daß dieses Mißtrauen begründet war, zeigen ihre Recherchen nur allzu deutlich. Und so verschafft Christa Gießler dem Leser doch einen kleinen Triumph; denn in diesem Buch ist –wenn auch im Nachhinein- ein Stück Gerechtigkeit wiederhergestellt worden.
Man muß kein Prophet sein, um der Autorin eine nicht unstrittige Aufnahme ihres Buches vorauszusagen. Denn die „Meisenkworther“ (und auch andere) werden nicht gern in den Spiegel schauen, den Christa Gießler ihnen vorhält. Doch dies ist zweitrangig. Viel wichtiger ist es, daß der „Rommelfänger“ Menschen weit über „Meisenkworth“ hinaus erreicht, ihnen Ärger bereitet und zu denken gibt. Hoffentlich trägt er nicht dazu bei, solche Kandidaten und Bürgermeister abzuschrecken, für die Kommunalpolitik mehr ist als das möglichst konfliktfreie Managen von Kommunikationsbeziehungen. Denn unterhalb dieser Oberfläche gibt es vielleicht doch die Sehnsucht nach Bürgermeistern, die für Inhalte stehen, nicht immer bequem, dafür aber verantwortlich und zuverlässig sind. An denen man sich reiben kann und die mit Uro sagen: “Ich lasse mich nicht verbiegen“.
Burkhard Krupp